Würde David Cage Text-Adventures machen...
Bury Me, My Love funktioniert deshalb wie WhatsApp, Telegram oder andere Messenger, weil es ursprünglich auf Smartphones veröffentlicht wurde, wo es bereits mehrere Titel gibt, die die Funktionsweise von Handys nachahmen. Im Vordergrund stehen dabei fast immer Textnachrichten, die man durch das Auswählen vorgegebener Antworten aus zwei oder mehr Möglichkeiten voranbringt. Die virtuellen Gegenüber halten sich anschließend meist an das Gesagte, berichten von den Folgen des gewählten Tuns usw. Im Grunde spielt man eine
Art David-Cage-Adventure in Textform. Als Beispiel sei die Lifeline-Serie genannt, aber auch das in Deutschland entstandene
Dead City.
Und genau wie die genannten erzählt auch Bury Me, My Love eine fiktive Geschichte – allerdings keine Science-Fiction und auch keine aus dem Bereich des Horrors, sondern eine auf Tatsachen beruhende. In Verbindung mit dem ohnehin emotionsgeladenen Thema steht die interaktive Erzählung also unter ganz anderen Vorzeichen als die eher verspielten Genre-Kollegen.
Wenn man etwa entscheiden muss, ob Nour Reisedokumente stiehlt, weil Grenzübergänge für die Syrerin ohne Papiere ein hohes Risiko darstellen, fällt es wirklich schwer dieser Versuchung zu widerstehen. Man ist sich des realen Unrechts ja
Über Textnachrichten hält Nour mit ihrem Mann Majd Kontakt.
bewusst. Und es fällt natürlich auch schwer ihre Nachrichten zu lesen, wenn sie die Zustände in Flüchtlingslagern beschreibt. Dass sie das ganz nüchtern tut, ohne auf weinerliche Art Mitgefühl zu erzwingen, rechne ich den Autoren hoch an! So erhält man einen Einblick in Geschehnisse, die den meisten Europäern sonst verborgen bleiben.
Einspruch abgelehnt
Und trotzdem hat mich Nours Geschichte sowie die ihres Manns Majd emotional nahezu kalt gelassen; was vor allem am Konzept des Adventures liegt. Ebenfalls wie Lifeline & Co trifft man nämlich Entscheidungen, die Nour praktisch ohne Widerrede einfach ausführt – was doch aber in keiner Weise dem Verlauf realer Unterhaltungen entspricht. Gerade schwerwiegende Entscheidungen berät man doch, argumentiert hin und her, während oft genug die Emotionen hochkochen und kommt schließlich an einen Punkt, an dem die Person gegenüber ihre eigene Entscheidung trifft, anstatt die ihres Whatsapp-Gegenübers anzunehmen. Das kommt natürlich vor, entspricht aber nicht der Regel. Gerade den üblichen Dialogverlauf müsste dieses Spiel aber unbedingt einfangen, damit Inhalt und Spiel sinnvoll zusammenpassen.
Zu allem Überfluss sind wegweisende Entscheidungen nicht immer als solche zu erkennen, was deshalb schwierig ist, weil man deshalb schon mal versehentlich das Falsche anklickt. Schließlich wählt man nicht immer zwischen zwei Extremen, sondern meist nur eine Antwort oder ein Emoji, die den Texten einen Hauch persönlicher Farbe verleihen – immerhin. Und richtig: In Wirklichkeit weiß man natürlich ebenfalls nicht, welchen Effekt eine Idee haben kann. Aber Wirklichkeit strebt das Spiel ja wie gesagt nicht an, weshalb dann zumindest seine profane Struktur mitunter klarer ersichtlich sein sollte.
Als ich einmal z.B. nur vorsichtig meine Meinung einbringen wollte, um Nours Meinung zu erfahren, galt das schon als Handlungsanweisung, die sie ins Gefängnis brauchte. Das war gleichbedeutend mit dem Game Over, weshalb ich daraufhin das komplette Spiel von vorn beginnen durfte.